In Würde alt werden Herausforderungen für die Sozialpolitik
26. September 2013 - Amtsblatt - 608
Wir werden heute wegen der insgesamt günstigeren Lebensbedingungen ohne Krieg und verheerende Epidemien und der besseren gesundheitlichern Versorgungssituation deutlich älter, auch länger gesund älter, als noch vor weni-gen Jahrzehnten. Trotzdem nehmen natürlich Erkrankungen, Beschwerden und Behinderungen mit zunehmendem Alter zu. Häuslich-ambulante und stationäre Pflegeformen stehen deshalb vor großen aber auch völlig unterschiedlichen Aufgaben und Problemen.Die zunehmend älter werdende Gesellschaft und der Wunsch fast aller älteren Menschen, möglichst lange zuhause zu leben, stellt auch Freiburgs Sozialpolitik vor die Aufgabe, für diese größer werdende Bevölkerungsgruppe bessere Rahmenbedingungen zu schaffen, die ihnen das Leben im Alter erleichtern und unterstützend wirken. Dass die Stadt und der Gemeinderat Lösungen finden müssen für die 139 fehlenden Pflegeheimplätze in 2015 ist nur ein Teil dieser Aufgaben. Eine größere „Baustelle“ sieht unsere Fraktion jedoch darin:
Eine Grundlage für möglichst langes zu Hause Leben ist barrierefreier und bezahlbarer Wohnraum in allen Stadtteilen. In der Realität sinkt aber die Anzahl günstiger Mietwohnungen wegen energetischer Sanierungen oder Abriss und Neubau oder, in dem sie aus der Mietpreisförderung fallen: das allein sind 1300 Wohnungen in den nächsten drei Jahren und weitere 760 von 1300 Wohnungen in betreuten Wohnanlagen im nächsten Jahrzehnt. Darauf muss das kommunale Handlungsprogramm Wohnen eine Antwort finden.
Für möglichst langes eigenständiges Wohnen brauchen ältere Menschen auch ein soziales wohnortnahes Netzwerk, das sie im Alltag unterstützt und Beziehungs-angebote macht. Nur mit einem Mix aus familiären und nachbarschaftlichen Hilfen, durch soziale Einrichtungen und professionelle Dienste ist dies zu leisten. Es ist die Aufgabe kommunaler Sozialpolitik das Zustandekommen solcher Netzwerke für ältere Menschen in den Stadtteilen zu fördern. Sie sind die beste Prävention gegen Einsamkeit und Altersdepression, gegen Krankheit oder Hilflosigkeit. Der eine Pflegestützpunkt im Seniorenbüro kann das nicht leisten. Dadurch entstehende Mehrkosten sparen auf lange Sicht viel Geld für die Stadt und die ganze Gesellschaft, aber vor allem werden die Frauen und deren Familien entlastet, auch finanziell.
Je mehr häusliche, ambulante oder stationäre Pflege nötig ist, desto teurer wird es. Dabei zeigt sich längst, dass intensive professionelle Pflege derart unterfinan-ziert ist, die Pflegeversicherung zu kurz greift. Einerseits verschärft das die finanzielle Not der Pflegebedürftigen und ihrer Familien, andererseits wird enga-giertes Pflegepersonal weit unter seiner Leistung und Verantwortung bezahlt. Es steigt der Arbeitsdruck und sinkt die Qualität. Die Kriterien der aktuellen Pflege-stufen - von neoliberalen Ökonomen erdacht – ähneln eher getakteten Produk-tionszeiten für Industriegüter, als dass sie einen humanen Umgang, Beziehung und Bindung zu hilfe- und pflegebedürftigen Menschen fördern.
Nicht nur die zu Pflegenden brauchen bessere Rahmenbedingungen, ebenso deren Pflegerinnen und Pfleger. Diese frauentypische Arbeit muss mehr geschätzt und finanziell aufgewertet werden. Auch daran wird deutlich, ob in Stadt, Land oder Bund soziale Politik gemacht wird.
Lothar Schuchmann